Unerwünschtes Jagdverhalten ist eines der großen Probleme vieler Hundehalter. Die einen achten die Sicherheit wilder Tiere und ihres eigenen Hundes und arrangieren sich mit der Schleppleine. Andere lassen es drauf ankommen, dass ihr Hund Wildtiere verletzt oder vergrämt und dabei selbst in Gefahr gerät – er hat eben „Jagdtrieb“, den er ausleben muss, da kann man nichts machen … oder?!

Die Antwort liegt in der Mitte: Arbeiten Sie mit der Leidenschaft Ihres Hundes, nicht gegen ihn! Nutzen Sie die Umwelt, statt mit ihr um die Aufmerksamkeit Ihres Hundes zu konkurrieren. Jagen ist stark selbstbelohnend, Glückshormone werden ausgeschüttet – Jagen fühlt sich toll an. Je mehr Druck und Stress Sie Ihrem Hund machen, um ihn am Jagen zu hindern, desto eher wird er jede Chance nutzen, sich seine Glücksgefühle zu holen …
Wie finden wir also einen Kompromiss, der die Bedürfnisse des Hundes, unsere eigenen und die der Umwelt berücksichtigt? Dazu müssen Sie das Jagdverhalten Ihres Hundes möglichst gut kennen und verstehen.

Beutefangsequenzen

Was wir landläufig als „Jagen“ bezeichnen, ist tatsächlich bei allen Beutegreifern eine Verhaltenskette aus einzelnen Elementen, den so genannten Beutefangsequenzen.

Orientieren: Ist hier irgendwo etwas Interessantes?
Fokussieren: Da ist etwas Interessantes!
Beschleichen: Ich komme näher!
Hetzen: Ich verfolge es!
Packen: Ich habe es!
Töten / Zerlegen
Fressen

Wie diese Kette abläuft, ist rassespezifisch und individuell sehr verschieden. Die einzelnen Sequenzen des Beutefangverhaltens werden in unterschiedlicher Ausprägung gezeigt – die Kette kann z.B. an einem bestimmten Punkt abbrechen oder Sequenzen auslassen, quasi „überspringen“.

Apportierhunde etwa orientieren und fokussieren (orten ihre Beute) nach dem Schuss und überspringen dann beschleichen und hetzen, denn ihr Beutetier ist ja schon tot. Sie packen die Beute, etwa einen geschossenen Vogel, und brechen die Kette vor dem Zerlegen und Fressen wieder ab. Schließlich möchte der Jäger keine halb zerkaute Ente gebracht bekommen.
Bei Vorstehhunden sieht die Kette etwa so aus: Orientieren, fokussieren, beschleichen – das stark „gebremst“ zum typischen Vorstehen hervorgezüchtet wurde, also zum Anzeigen von Wild, das dann der Jäger erlegt. Ein Windhund dagegen soll ein fokussiertes (entdecktes) Objekt direkt hetzen und packen.

Auch „Hüten“, das in der Vorstellung vieler Hundehalter so gar nichts mit Jagdverhalten zu tun hat, besteht aus Jagdsequenzen! Der Hütehund soll z.B. die Schafe fokussieren und beschleichen, aber dann nicht hetzen und packen.

Auslöser von Jagdverhalten

Jedes Verhalten braucht einen Auslöser, in diesem Fall „Jagdbares„. Doch nicht jeder Hund springt auf dieselben Auslöser an. Der eine sprintet nur los, wenn er flüchtendes Wild sieht, der andere ist kaum zu bändigen, weil hier in diesem Waldstück letzte Woche ein Reh vorbeigekommen sein muss … Manche Hunde nutzen ihre Nase selten zum Jagen, andere bekommen sie im Wald kaum vom Boden hoch. Die einen stehen auf Vögel, die anderen auf Mäuse und so weiter.

Ein bestimmter Reiz löst also ein bestimmtes Verhalten aus. Ein Mauseloch – buddeln. Wildgeruch – nachschnüffeln. Frisbee – hetzen und packen. Ein Hund, der Frisbees hetzt und packt, zeigt am Fasan im Gebüsch nicht unbedingt dasselbe Verhalten, weil der Reiz ein ganz anderer ist. Der Border Collie hat vielleicht noch nie Schafe aus der Nähe gesehen, belauert aber andere Hunde (in der Hoffnung auf ein Hetzspiel). Lernen Sie die Interessen und Verhaltensweisen Ihres Hundes möglichst genau kennen und einordnen!

Jagen als Beschäftigung

Vieles an vermeintlichem „Ersatz“ für Jagdverhalten, wie etwa Bällchen fangen, ist eintönig und hat mit dem Auslöser „Eichhörnchen“ rein gar nichts zu tun. Dieses oder jenes Spielzeug interessiert den Hund draußen kaum oder nur ein paar Mal … Jagdbares finden wir bzw. unser Hund aber doch überall in der Umwelt! Wir brauchen nur zu unterscheiden, welche Sequenz des Jagdverhaltens wir erlauben, belohnen und dadurch ausbauen – und welche nicht.

Orientieren

Unsere Vorstellung von einem Spaziergang beteht oft aus „stramm geradeaus laufen“ – unbefriedigend für viele Hunde. Hunde gehen schließlich nicht spazieren, um sich von der Arbeit zu erholen – es ist für sie die Hauptaktivität, das Highlight des Tages. Möchten Sie beim Schaufensterbummel möglichst schnell …? Nein, Sie möchten in Ruhe Details betrachten und nicht herumhetzen.
Entschleunigen Sie gelegentlich Ihren Spaziergang. Viele Hunde haben sich so daran gewöhnt, sich unserem Marschschritt anzupassen, dass sie zunächst mit Ungeduld auf das Schneckentempo reagieren. Sie stellen aber bald fest, was es alles zu entdecken gibt. Lassen Sie Ihren Hund buchstäblich jeden Grashalm abschnüffeln. Bleiben Sie stehen. Geben Sie ihm Zeit. Schauen Sie zu, wie Nase und Ohren in alle Richtungen spielen. Lassen Sie Ihren Hund sich ausgiebig orientieren.

Fokussieren

Viele Hundehalter versuchen, ihren Hund ganz von Jagdbarem abzulenken, was oft nicht funktioniert und viel Stress und Frust erzeugt. Dabei ist es ja gar nicht problematisch, dass der Hund etwas sieht oder riecht – ein Problem haben wir erst, wenn er vom Fokussieren z.B. ins Hetzen wechselt. Wir können ihm aber (gesichert) erlauben, Wild zu beobachten. Solange er dabei ruhig stehen bleibt und nicht losschießt oder kreischend in die Leine springt, ist das doch prima!

Loben Sie Ihren Hund sofort, wenn er Jagdbares entdeckt hat. Kann er sich auf Ihr Lob hin nach Ihnen umgucken, super! Kekse, Spiel, Party! Kann er es nicht – lassen Sie ihn gucken, solange er ruhig bleibt! Er belohnt sich damit selbst, aber Sie haben einen Fuß in der Tür, denn je länger Ihr Hund stehen und gucken kann, umso mehr Zeit haben Sie, ihn gegebenenfalls zu sichern. Eine tolle Belohnung für „nur gucken!“ wäre zum Beispiel, dass Sie mit Ihrem Hund dorthin gehen, wo das Tierchen war, sobald es weg ist. Er hat ein Eichhörnchen beobachtet, ohne sich zu rühren? Wunderbar – rennen Sie zur Belohnung mit ihm zu dem Baum, auf den es gehuscht ist, lassen Sie ihn schnüffeln. Bringen Sie sich in seine Welt ein, entdecken Sie sie gemeinsam. Sie werden sich wundern, wie müde und zufrieden ein Hund nach einem Spaziergang von einem Kilometer in einer Stunde sein kann!

Beschleichen

Damit sind wir schon bei der nächsten Sequenz, denn das Hinlaufen zu dem Baum gehört zum Beschleichen – alles, was der Annäherung an die Beute dient, ohne diese in die Flucht zu treiben. Das Eichhörnchen ist ja bereits geflüchtet, aber Hinterherschnüffeln ist trotzdem toll! Sie können Ihrem Hund erlauben, einer Spur ins Gebüsch ein paar Meter zu folgen, solange er an der Leine gesichert ist und einigermaßen ruhig bleibt. Loben Sie ihn, falls er stehen bleibt, geben Sie ihm Zeit – oft ist der Hund mit ein bisschen Nachschnüffeln dürfen schon zufrieden, und wieder haben Sie sich erfolgreich in seine Welt eingebracht.
Krähen, Wasservögel oder Tiere in Gehegen bleiben meist recht gelassen, wenn ein Hund in der Nähe ist, sie fühlen sich sicher und flüchten eher nicht. Dann können Sie Ihrem Hund auch einmal – angeleint! – erlauben, sich anzupirschen. Achten Sie darauf, ihn früh genug z.B. mit einem fliegenden Spielzeug zu belohnen, damit er gar nicht erst zu den Vögeln durchstartet! Oder nutzen Sie wieder die Umwelt als Belohnung: Solange Ihr Hund die Enten im Teich nur anguckt, loben Sie ihn und gehen Sie zusammen ein Schrittchen näher heran. Und noch ein Schrittchen (schießt er bellend in die Leine, waren Sie zu nah – gehen Sie wieder ein Stück zurück und bremsen Sie ihn nächstes Mal früher). Wie beim Eichhörnchen, so ist auch hier die Annäherung an den Reiz die beste Belohnung.

Hetzen, Packen, Zerlegen, Fressen

Aus diesen Sequenzen können Sie Ihrem Hund selbstverständlich nichts mehr an lebenden Objekten erlauben! Da Hetzen am schwierigsten zu unterbrechen ist, sollten Sie es z.B. auf dem Waldspaziergang am besten ganz weglassen.
Packen hingegen können Sie draußen mit Dummys und anderen Gegenständen sehr schön bieten – es lohnt sich, Ihrem Hund das Apportieren beizubringen, denn Packen, oder auch Dinge herumtragen ist eine tolle jagdliche Beschäftigung.
Zerlegen ist eher etwas für drinnen (Klorollen zerrupfen und ähnliches), aber Zergeln kommt dem Zerreißen eines Beutetiers schon recht nahe. Viele Hunde lieben deshalb Zerrspiele!
Und Fressen geht natürlich fast immer und überall. Die Möglichkeiten sind schier endlos, vom Futterdummy über den „Würstchenbaum“ bis zur schlichten Handvoll Leckerlis auf dem Waldboden oder an anderen spannenden Stellen verstreut … Futter suchen und fressen macht fast jedem Hund Spaß und ist viel interessanter als ein Leckerli aus der Hand!